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Unterabschnitte

Ergebnisse und Diskussion

DPh-PC

Nach dem Aufbau der Apparatur habe ich mit Messungen an Lipidmembranen aus reinem DPh-PC begonnen. Dieses System wählte ich aus, da mit [36,18,40] Vergleichsdaten vorhanden sind, um Meßaufbau und die Durchführung der Experimente zu überprüfen.

Die Abbildungen 12-14 stellen den Verlauf einer Messung an einer einzelnen Membran dar. Vor dem Aufnehmen der Spannungskurve zum irreversiblen Durchbruch der Membranen wurde die Kapazität der Membran bestimmt. Sie wird in die folgenden Berechnungen als Konstante eingesetzt.

Abbildung 12: Entladungskurve DPh-PC Membran

In Abbildung 12 betrug der Parallelwiderstand 10M$ \Omega$, der Elektrolyt bestand aus 1M KCl. Die Kurve zeigt das Verhalten eines RC-Gliedes mit 0,93nF als Kapazität des Kondensators. Die Kapazitätsmessung diente zusätzlich der Qualitätskontrolle. Zu kleine Kapazitäten weisen auf nicht zum Bilayer ausgedünnte Teile des Lipidfilmes hin. Wenn die Werte nach einer gewissen Wartezeit nicht im Bereich der üblichen 0,8nF bis 1,2nF lagen, wurde das Experiment mit einer neuen Membran wiederholt.

Abbildung 13 zeigt eine typische Meßkurve zum irreversiblen Aufreißen der Lipiddoppelschicht bei Pulsspannungen über dem kritischen Wert.

Abbildung 13: Durchbruch DPh-PC in 1M KCl

Der Spannungsverlauf für dieses Experiment gliedert sich in Nach Applizieren des Spannungspulses hat die Membran noch eine gewisse Lebensdauer bis zum irreversiblen Durchbruch. Entgegen der in [35] vorgeschlagenen Verteilung gibt es in meinen Messungen keine erkennbare Tendenz. Zwischen sofortigen Aufreißen und einer Relaxationszeit von bis zu 3ms liegen die Werte willkürlich gestreut. Häufungspunkte sind die ersten $ \mu$s nach dem Spannungspuls und Zeiten im ms Bereich. Für diese Verhalten konnte ich keine Erklärung finden.

Das Auswerten des Spannungsverlaufes mit Meßgleichung 10 zeigt ein lineares Anwachsen des Defektradius in der Zeit (Abbildung 14),

Abbildung: Leitfähigkeit G(t), Porenradius a(t) in 1M KCl

und entspricht dem in Abschnitt 2.3.2 betrachteten trägheitskontrollierten Mechanismus für die Kinetik der Defektausweitung. Unter 370mV Transmembranspannung beträgt der elektrische Beitrag zur Oberflächenspannung weniger als zehn Prozent (Gleichung 6, $ \sigma=2\cdot 10^{-3}$N/m, d=6nm). Damit läßt sich Gleichung 24 ohne elektrische zeitabhängige Korrekturen zur Oberflächenspannung verwenden.

Für Membranen aus DPh-PC erhält man als radiale Ausdehnungsgeschwindigkeit eines Defektes v=(0,19$ \pm$0,02)m/s. Das deckt sich mit den in [40] gemessenen v=(0,21$ \pm$0,05)m/s.

Über die Ionenstärke des Elektrolyts kann man die Zeit beeinflussen, die das Aufweiten der Pore beobachtbar bleibt. Hierzu eine quantitative Analyse: Je niedriger die Ladungsträgerkonzentration des Elektrolyten, desto länger dauert der Ladungstransport über die Membran. Nach dem Ohmschen Gesetz gilt:

\begin{displaymath}\begin{split}G(t) & =\frac{I(t)}{U(t)} \\ U(t)\cdot G(t) & =\...
...U(t)}{\partial dt} \\ U\cdot G(t) & =C\cdot\dot{U}, \end{split}\end{displaymath} (25)

wenn man während des beobachtbaren Aufreißprozesses C als konstant annimmt. Die Leitfähigkeit G(t) wird wie in Abschnitt 2.2 als Eingangsleitfähigkeit der Pore mit dem Radius a(t) gewählt:

$\displaystyle U(t)\cdot 2\kappa a(t)=C\cdot\dot{U}$ (26)

Der Radius a(t) ist eine lineare Funktion der Zeit, v die konstante Geschwindigkeit des Aufreißens. Bei $ t=0$ ist $ U=U_0$, die Durchbruchspannung, für $ t\rightarrow\infty$ geht U gegen 0. U wird für das lineare Aufreißen beschrieben durch

$\displaystyle U(t)=U_{0}\cdot e^{-\frac{\kappa v}{C}\cdot t^2}$ (27)

Gesucht ist die Zeit T, in der U auf 1% des Ausgangswertes abfällt:

$\displaystyle \frac{U(T)}{U_0}$ $\displaystyle =e^{-\frac{\kappa v}{C}\cdot T^2}=0,01$ (28)
$\displaystyle \ln{0,01}$ $\displaystyle =-\frac{\kappa v}{C}\cdot T^2$ (29)
$\displaystyle T$ $\displaystyle =\sqrt{-\frac{C\cdot\ln{0,01}}{\kappa v}}$ (30)

Messungen an DPh-PC Membranen ergaben bei verschiedenen Elektrolytkonzentrationen c$ _{KCl}$ die Zeiten T in Tabelle 1.

Tabelle: Beobachtbares Zeitfenster des Aufreißens
c$ _{KCl}$ [mM] $ \kappa$ [S/m] T(U $ _0\rightarrow$ 0,01$ \cdot$ U$ _0$) [$ \mu$s]
10 0,14 436
100 1,3 126
500 6,5 61
1000 11,2 34
3000 28 23


Als Nebeneffekt dieser Betrachtungen ergibt sich unter Annahme eines linearen Anwachsens des Defektradius in der Zeit eine alternative Möglichkeit, die Geschwindigkeit des Aufreißens zu bestimmen. Die Auftragung von T gegen $ 1/\sqrt{\kappa}$ zeigt Abbildung 15.

Abbildung: Zeit für das Aufreißen

Aus dem Anstieg der Regressionsgeraden läßt sich mit Gleichung 30 und einer durchschnittlichen Membrankapazität von (1$ \pm$0,2)nF die Aufreißgeschwindigkeit als v=(0,17$ \pm$0,04)m/s errechnen.

Eine Abschätzung der erwarteten radialen Ausdehnungsgeschwindigkeit mit Gleichung 23 ergibt einen um zwei Größenordnungen zu hohen Wert: Das Molekulargewicht von DPh-PC beträgt 846g/mol. Bei einer Fläche je Molekül von 0,5nm$ ^2$ [27] ist die Flächendichte $ \rho_A$ einer bimolekularen Schicht

$\displaystyle \rho_A=2\frac{0,846kg/mol}{N_{A}\cdot 0,5nm^2},$ (31)

mit N$ _A$ der Avogadrozahl. Mit $ \sigma=2\cdot 10^{-3}N/m$ ergibt sich nach

$\displaystyle \dot{a}=\sqrt{\frac{\sigma}{\rho_A}}$ (32)

$ \dot{a}\approx$19m/s. In [18,40] wurde die Flächendichte durch kovalente Bindung von Makromolekülen an einzelne Lipide erhöht. Die Aufreißgeschwindigkeit ist umgekehrt proportional zur Wurzel aus der Flächendichte. Da die Oberflächenspannung des Lipidfilmes nicht so einfach zugänglich ist, liegen keine Daten zum Verhältnis von Reißgeschwindigkeit und $ \sigma$ vor. Nach [18,40] läßt sich das lineare Aufreißen reiner Lipidfilme durch das Einfügen eines konstanten Faktors $ \Phi$ in Gleichung 23 beschreiben:

$\displaystyle \dot{a}=\sqrt{\frac{\Phi\cdot\sigma}{\rho d}}$ (33)

Die Theorie in Abschnitt 2.3 berücksichtigt keine temperaturabhängigen entropischen Energiebeiträge zur Stabilität der Membran. In [27] werden Defekte mit nicht kreisrunden Rändern betrachtet. Die Membran wird mit einem Netzwerk von Massepunkten simuliert. Massepunkte sind mit den nächsten Nachbarn über flexible Bindungen gekoppelt. Bindungen können reißen oder neu entstehen. Es bildet sich eine Verbindungskonstante z aus, die in [27] nicht näher definiert wurde. Behandelt man die Randlinie des Defektes als geschlossenen selbstvermeidenden Pfad von n Schritten der Länge b, beträgt die Anzahl $ \Omega$ der möglichen Zustände dieses Ringes

$\displaystyle \Omega(n)=\Omega_{0}z^{n}n^{\alpha-2}$ (34)

$ \alpha$ ist ein konstanter Exponent, $ \Omega_0$ ein von n unabhängiger Vorfaktor. Der Beitrag zur freien Energie der Membran ist damit $ k_{B}T\ln{\Omega}$, in erster Näherung proportional zu n. Gleichung 3 läßt sich auf

$\displaystyle E=bn\Gamma-A\sigma -nk_{B}Tc$ (35)

erweitern. Diese grobe Abschätzung mit der Konstanten c wird erst nach Anpassung der Simulationsergebnisse an die natürlichen Einheiten von Lipidmembranen interessant, da jetzt die Fläche A nicht mehr als Kreisfläche des Defekts errechnet werden darf . Wird die simulierte Membran instabil, ist die Energiebarriere gegen Defektausweitung nicht mehr vorhanden. Der entropischen Beitrag zur Randenergie muß den mechanischen Beitrag gerade aufheben. Die so berechnete Größenordnung des entropischen Effektes entspricht bei Raumtemperatur einer Randenergie von 9$ \cdot$10$ ^{-12}N$.

Es werden allgemeine Aussagen zur Rolle der Entropie bei der Defektausweitung in Lipidmembranen getroffen. Ist das Lipid in der fluiden Phase, kann man folgende Effekte erwarten:

Temperaturskala und damit Verhalten richten sich nach der Fluidität der Lipidmoleküle im Bilayer.


Lysolecithin

Lipidmoleküle in dichten Packungen verhalten sich je nach Molekülform unterschiedlich. Das Verhältnis zwischen der Größe der polaren Kopfgruppe und dem Umfang des hydrophoben Fettsäureschwanzes bestimmt die Energie, die zur Krümmung einer Fläche aus diesem Lipid nötig ist. Das verwendete Lysolecithin besteht aus der gleichen Kopfgruppe wie das DPh-PC, besitzt aber nur eine Fettsäurekette. Damit setzt es als Zusatz zur membranformenden Lösung die Energiebarriere gegen spontane Krümmung des Bilayers herab [5,1]. Es hat Einfluß auf die Randenergie $ \Gamma$ in Formel 3. Tabelle 2 enthält nach [5] Werte für PC-Membranen.

Tabelle: Oberflächenspannungen und Randenergien
Lipid $ \Gamma \ [10^{-11}N]$ $ \sigma \ [10^{-3}N/m]$
PC in Decan 0,86$ \pm$0,04 1,0$ \pm$0,3
PC in Decan    
$ +4\cdot10^{-4}$mg/ml LPC 0,33$ \pm$0,06 0,2$ \pm$0,1


Für Bilayer aus DPh-PC gibt es keine entsprechenden Meßwerte. Sie sollten sich aber bei Zusatz von Lysolecithin ähnlich verhalten. Die Randenergie ist nach [5] eine mit dem Gehalt an Lysolecithin lineare Funktion. Mit Mischungen von DPh-PC und Lysolecithin in verschiedenen Anteilen durchgeführte Experimente zeigen Veränderungen in der Durchbruchspannung der Lipiddoppelschicht (Tabelle 3),

Tabelle: Veränderungen in der Durchbruchsspannung
  0,15M KCl 1M KCl
  U$ _B$ d/dt(r) U$ _B$ d/dt(r)
  [mV] [m/s] [mV] [m/s]
DPh-PC 330$ \pm$30 0,19$ \pm$0,02 430$ \pm$50 0,20$ \pm$0,01
DPh-PC + 1% Lyso     440$ \pm$40 0,20$ \pm$0,02
DPh-PC + 4% Lyso 310$ \pm$30 0,21$ \pm$0,02 350$ \pm$50 0,19$ \pm$0,02
DPh-PC + 8% Lyso 270$ \pm$30 0,23$ \pm$0,03 320$ \pm$10 0,19$ \pm$0,02


die mit Gleichung 5 erklärt werden können. Das Herabsetzen der mechanischen Randenergie führt zum Ausgleich des mechanischen Anteils mit dem elektrischen Beitrag bei niedrigeren Spannungen. Rand- und damit Defektbildung werden für kleinere Spannungen wahrscheinlicher. Nicht nachvollziehen läßt sich die Herabsetzung der Oberflächenspannung des Bilayers. Da die Aufreißgeschwindigkeit wesentlich von der Oberflächenspannung bestimmt wird, müßte sich das Absenken auf ein Fünftel wesentlich auf die Kinetik auswirken. Die Meßwerte der Aufreißgeschwindigkeit unterscheiden sich aber nur wenig von denen aus entsprechenden Messungen an reinen DPh-PC Membranen.


Actin

Actinfilamente sind wichtiger Zellbestandteil. Sie bilden mit anderen filamentösen Strukturen zusammen die Grundlage für Stabilität und Bewegungsfähigkeit von Zellen. Abbildung 16 zeigt einen Fibroblasten mit gekennzeichnetem Actingerüst. Die Filamente wurden mit fluoreszensmarkierten Actinantikörpern für die Fluoreszensmikroskopie sichtbar gemacht.

Abbildung: Actingerüst eines Fibroblasten [12]
\begin{figure}\centering\epsfig{figure=bilder/zelle,width=\linewidth} \end{figure}

Der Balken entspricht 100$ \mu$m.

Actinmonomere polymerisieren ab einer kritischen Salzkonzentration in der umgebenden Lösung zu Filamenten. Abbildung 17 zeigt ein während meines Elektronenmikroskopiepraktikums aufgenommenes Bild.

Abbildung 17: Actinfilamente
\begin{figure}\centering\epsfig{figure=bilder/emactin,width=\linewidth} \end{figure}

Das Polymerisieren ist reversibel. Sinkt die Salzkonzentration unter den kritischen Wert, zerfallen die Filamente zu Monomeren.

Nach der in [19] beschriebenen Prozedur zur Polymerisation von Actin an Lipidmembranen wurden auf den dort verwendeten Liposomen zwei unterschiedliche Anordnungen der Actinfilamente festgestellt:

Die Actinfilamente entsprachen in beiden Fällen in Struktur und Aufbau dem in biologischen Systemen vorkommenden F-Actin. Auch die im zweidimensionalen Kristall angeordneten Filamente bildeten die longitudinale Periodizität der aufeinanderfolgenden Monomere von 37,5nm aus.

Durchbruchexperimente mit an die Lipiddoppelschicht polymerisiertem Actin ergeben eine deutliche Änderung in der Kinetik der Defektausweitung. Abbildung 18 zeigt Meßkurven für den Durchbruch einer Membran aus DPh-PC und 10% Stearylamine ohne Zugabe von Actin und mit Zugabe von Actin auf einer Seite der Küvette.

Abbildung 18: Durchbruch DPh-PC + 10% Stearylamine

Ohne Actin entspricht das Aufreißen dem schon bei reinen DPh-PC-Membranen betrachteten trägheitskontrollierten Vorgang. Die Geschwindigkeit der radialen Ausdehnung des Defektes beträgt v=(0,23$ \pm$0,1)m/s (Abbildung 19).

Abbildung: Lineares Aufreißen DPh-PC + 10% Stearylamine

Mit Actin kommt es in Abbildung 18, Kurve 2, zu einer drastischen Änderung. Der Ladungsausgleich über den Membrandefekt nimmt mehr Zeit in Anspruch. Nach Gleichung 30 nimmt der Radius des Defektes mit einer niedrigeren Geschwindigkeit zu. Abbildung 20 zeigt einen weiteren Aspekt. Das Anwachsen des Porenradius ist nicht mehr linear in der Zeit, sondern exponentiell.

Abbildung: Exponentielles Aufreißen DPh-PC + 10% Stearylamine + Actin

Dieses Verhalten läßt sich mit dem in Gleichung 19 vorgestellten viskositätsbestimmten Aufreißen erklären. Logarithmieren der Kurve in y ergibt eine Gerade. Der Anstieg m dieser Gerade entspricht nach Gleichung 19

$\displaystyle m=\frac{\sigma}{4\eta},$ (36)

woraus sich mit einer Oberflächenspannung von 2 $ \cdot 10^{-3}$N/m Werte für die Viskosität des Lipidfilmes mit Actingerüst errechnen lassen:

$\displaystyle m=(1700\pm 400)s \Rightarrow \eta=(3\pm0,7)\cdot 10^{-7}\frac{Ns}{m}.$ (37)

In [15] ist die Viskosität der Zellmembran von Erythrozyten mit Theterbildung an Mikropipetten gemessen worden. Das Ergebnis von $ \eta=2,8\cdot 10^{-6}$Ns/m unterscheidet sich von meinem Meßwert um eine Größenordnung. [32] gibt $ \eta=(7\pm5)\cdot 10^{-6}$Ns/m bei 25$ ^\circ$C an. Das direkt an die Membran polymerisierte Actin entspricht nicht dem biologischen Vorbild mit in der Lipidschicht verankerten Proteinen, von deren Actinbindungsstellen aus sich das Polymernetzwerk aufspannt. [19] gibt keine Meßwerte für die Oberflächenviskosität der modifizierten Liposome an. Interessant ist der hier sichtbare Übergang vom trägheits- zum viskositätskontrollierten Mechanismus des Aufreißens.

Die Stabilität der Lipidmembran gegenüber dem elektrischen Feld wird durch die Stützstruktur nicht erhöht. Die kritische Spannung lag für DPh-PC Membranen mit 10% Stearylamine bei (350$ \pm$90)mV. Nach Polymerisieren des Actins an die Membran lag die Durchbruchsspannung bei (290$ \pm$30)mV und damit im Rahmen der bei diesen Experimenten großen Streuung der Meßwerte.

Die hier vorgestellten Daten sind in [22] veröffentlicht.


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Marcus Lindemann 2001-09-10