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Unterabschnitte

Theorie

Grundlagen

Lipide sind amphiphile Moleküle. Die Kopfgruppen sind wasserlöslich, hydrophil, wogegen die hydrophoben Fettsäurereste eine Ölphase bilden. Lipidmoleküle richten sich spontan aus, um in den thermodynamisch günstigeren Zustand niedrigerer freier Energie zu kommen. Es kommt zur Grenzflächenbildung. In Lipid-Wasser Gemischen bilden sich Mizellen, Vesikel, lamellare Phasen oder kompliziertere Strukturen. Tien [29] gibt eine Abschätzung für die Größenordnung des hydrophoben Effektes an. Das Mengenverhältnis von Lipidmolekülen mit der Kopfgruppe zum Öl zeigend zu Molekülen mit der Kopfgruppe zum Wasser zeigend ist ungefähr $ 5\cdot10^{-13}$. Die Bildung eines bimolekularen Filmes bedeutet die Reduktion bzw. Vermeidung von Kontaktfläche zwischen wäßriger und Kohlenwasserstoffphase und die Maximierung der Kontaktfläche zwischen Wasser und polaren Kopfgruppen. Der Bilayer ist ein selbstorganisierendes System.

Steht die Lipiddoppelschicht unter Spannung, z.B. durch adhäsives Aufspannen über ein Loch in einer Teflonwand, oder durch osmotischen Druck in einer Zelle, wird der Zustand des Bilayers metastabil. Nach Bildung eines initialen Defektes gelangt die Lipidschicht in einen stabilen Zustand [35]. Das kann heißen, daß der Lipidfilm bis zum Ausgleich des osmotischen Druckes eine stabile, wieder verheilende Pore ausbildet [41], oder daß das Lipid in das Reservoir am Teflonrand des Loches der Meßzelle aufgesogen wird. Es existieren verschiedene Modelle zur Bildung des initialen Defektes, der das Aufreißen des Bilayers herbeiführt.

Lipiddoppelschichten haben Leitfähigkeiten von 10$ ^{-8}$Scm$ ^{-2}$ und sind bis zu Potentialdifferenzen zwischen $ 2\cdot10^{5}$ und $ 1,3\cdot10^{6}$ Vcm$ ^{-1}$ mechanisch stabil [29]. Während die Kopfgruppen von Wassermolekülen und Ionen des Elektrolytes umgeben sind, bilden die Kohlenwasserstoffketten eine Energiebarriere gegen die Diffusion von Ladungsträgern. Nach [26] besteht diese Barriere aufgrund der zu überwindenden Energiedifferenz beim Übergang der Ionen zwischen Medien verschiedener Dielektrizitätskonstanten. Für ein Ion des Radius R und der Ladung q beträgt der Unterschied der Feldenergien

$\displaystyle \Delta W=\frac{q^{2}}{2\epsilon_{0} \epsilon_{w}R}-\frac{q^{2}}{2\epsilon_{0} \epsilon_{l}R} ,$ (1)

$ \epsilon_{w}=80$ ist die relative Dielektrizitätskonstante des Wassers, $ \epsilon_{l}=2$ die der Ölphase des Lipids, $ \epsilon_{0}=8.85\cdot
10^{-12}$F/m . Kaliumionen haben einen Durchmesser von 151pm, Chloridionen 167pm [16]. Das ergibt für die von mir verwendeten Ionen eine Größenordnung der Energiedifferenz von $ 1000kT$. Es ist beliebig unwahrscheinlich, daß ein Ion durch die Membran diffundiert.

Erst durch Defekte, die mit einem polarisierbaren Medium gefüllt sind, wird der Ionentransport möglich. Diese Poren können von Proteinen gebildet werden. In reinen Lipidmembranen muß ein wassergefüllter Defekt entstehen.

Mit den mechanische Eigenschaften der Lipiddoppelschicht beschäftigt sich die Theorie von der Defektbildung aufgrund von Elektrokompression der gesamten Membran. Die Salzlösung an der Membran wird als elastischer Kondensator angesehen, der mit der Lipiddoppelschicht als Dielektrikum der relativen Dielektrizitätskonstante $ \epsilon_{m}$ gefüllt ist.

Abbildung 2: Elastischer Kondensator [8]
\begin{figure}\centering\epsfig{figure=bilder/kond,width=10cm} \end{figure}

Das elektrische Feld übt einen Druck P von

$\displaystyle P_{el}=\frac{\epsilon_{0} \epsilon_{m}U^{2}}{2h^{2}}$ (2)

auf das Dielektrikum aus. U ist die Potentialdifferenz über die Kohlenwasserstoffphase der Dicke h. Nach Diskussion in [35,42] müßte die Membrandicke um ca. 39% abnehmen, ehe es zum Durchbruch kommt. Dickenmessungen haben eine maximale Komprimierbarkeit von 2% ergeben [23]. Auch die vorhergesagte Durchbruchsspannung ist mit 5V um eine Größenordnung zu hoch.

Andere Arbeiten wenden die Theorie von [30,31] für induzierte Dickefluktuationen in dünnen liquiden Filmen auf Bilayer im elektrischen Feld an [8].

Es muß Arbeit verrichtet werden, um einen planaren Bilayer über die Bohrung in der Wand der Meßzelle zu spannen. Durch Adhäsionskräfte am Teflon hat die Membran eine positive Oberflächenspannung $ \sigma$. Ich gehe davon aus, daß sich in der Membran ein einzelner kreisrunder Defekt ausweitet [40]. Der Unterschied in der freien Energie zwischen ungestörter Membran und Membran mit einem Defekt des Radius a ist

$\displaystyle E=2\pi a\Gamma-\pi a^{2}\sigma,$ (3)

ohne die Einwirkung des elektrischen Feldes zu berücksichtigen [10]. $ \Gamma$ ist die Randenergie des Lipidfilmes. Ist der Radius a kleiner als der kritische Radius

$\displaystyle a_{krit}=\frac{2\Gamma}{\sigma},$ (4)

heilt die Pore wieder zu, ist der Radius größer, reißt die Membran irreversibel auf.

Der Spannungspuls bewirkt eine Ladungskonzentration mit entgegengesetzten Vorzeichen an den Lipid-Wasser Grenzflächen. Die elektrische Anziehung dieser Ladungen äußert sich in einer Kraft auf die Membran, die Korrekturen zu Randenergie und Oberflächenspannung notwendig macht. In [38,39] werden die berichtigten Größen mit

$\displaystyle \Gamma_{eff}=\Gamma-\frac{\epsilon_{0}\epsilon_{w}U^{2}}{2\pi}$ (5)

$\displaystyle \sigma_{eff}=\sigma-\frac{\epsilon_{0}\epsilon_{l}U^{2}}{2d}$ (6)

angegeben, wobei d die Membrandicke darstellt. Typische Oberflächenspannungen und Randenergien für Bilayer liegen bei $ \sigma=2\cdot 10^{-3}$N/m und $ \Gamma=10^{-11}$N [5]. Damit erleichtert das elektrische Feld die Randbildung, während der elektrische Beitrag zur Oberflächenspannung dem Aufreißen entgegenwirkt. Ist die effektive Randenergie zu Null ausgeglichen, aber die mechanische Oberflächenspannung überwiegt den elektrischen Beitrag, kommt es zur Defektbildung und zum irreversiblen Reißen der Membran. Wechselt die Oberflächenspannung das Vorzeichen, bevor ein Rand entstehen kann, sollte es zu stabilen Poren in molekularer Dimension kommen. Erst bei sehr hohen Spannungen treiben Maxwellkräfte den Lipidfilm auseinander.


Elektrische Leitfähigkeit

Der elektrische Widerstand eines kreisrunden Defekts der Dicke d und des Radius a in einer isolierenden Schicht setzt sich aus zwei Komponenten zusammen. Erste Komponente ist der Widerstand R eines mit Elektrolyt gefüllten Zylinders:

$\displaystyle R=\frac{d}{\kappa a^{2}},$ (7)

$ \kappa$ spezifische Leitfähigkeit der Salzlösung. Die zweite Komponente berücksichtigt den Potentialabfall von einer unendlich entfernten Elektrode zu einer leitenden Scheibe endlichen Durchmessers. Nach [25] beträgt deren Eingangswiderstand

$\displaystyle R_{acc}=\frac{1}{4\kappa a}$ (8)

Der Eingangswiderstand wirkt an jeder Stirnfläche des leitenden Zylinders.

Zur Auswertung meiner Versuche betrachte ich den Potentialverlauf an der Membran über der Zeit. Nach dem Ohmschen Gesetz ist

$\displaystyle G(t)=\frac{I(t)}{U(t)}=\frac{1}{U(t)}\frac{\partial Q(t)}{\partia...
...-\partial [CU(t)]}{\partial t} =\frac{-C}{U(t)}\frac{\partial U(t)}{\partial t}$ (9)

Kleine Defektradien haben einen vernachlässigbaren Einfluß auf die Gesamtkapazität der Membran. Deshalb wird die Kapazität als Konstante angesehen. Bei Porenradien über 1$ \mu$m und der Dicke des Defektes von ca. 6nm [11] kann man den Widerstandsbeitrag des leitenden Zylinders gegenüber dem Eingangswiderstand seiner zwei Stirnflächen unberücksichtigt lassen. Aus 8 und 9 folgt die Meßgleichung für die Bestimmung des Porenradius

\begin{displaymath}\begin{split}2\kappa a(t) & =-\frac{C}{U(t)}\frac{\partial{U(...
... a(t) & =-\frac{C}{2\kappa}\frac{d}{dt}[\ln{U(t)}]. \end{split}\end{displaymath} (10)

Sie wird zur Auswertung meiner Spannungsverläufe angewendet.


Kinetik

Im statischen Fall wird die aus der Adhäsionskraft des Lipids am Teflon resultierende Kraft auf die Membran durch die Oberflächenspannung des Lipidfilms aufgehoben. An der Aufhängung des Bilayers wirkt

$\displaystyle f_{R}^{\sigma}=-2\pi R\sigma.$ (11)

R ist der Radius des Bilayers. Kommt es zum Aufreißen der Lipiddoppelschicht, entstehen Kraftbeiträge aus der Trägheitskraft der beschleunigten Lipidmoleküle und der Scherkraft aufgrund der inneren Reibung in der Lipiddoppelschicht.

Für die Berechnungen wird die Membran als inkompressibel und homogen angenommen, der Defekt als kreisrund. Die Dicke der Membran soll sich nicht ändern. Zu jedem Zeitpunkt t=t$ _0$ ist damit folgende Gleichung erfüllt:

$\displaystyle v\cdot r=\mathit{const.(r,t=t_0)}=\dot{a}a$ (12)

Da das Produkt aus Radius und radialer Geschwindigkeit über die ganze Membran konstant sein soll, kann ich als Referenzwerte die Daten am Lochrand einsetzen.

Scherkraft

Belegt man einen inkompressiblen hochviskosen Flüssigkeitsfilm mit Partikeln und beobachtet das Aufreißen eines Defektes, dann ist zu jedem Zeitpunkt der gesamte Flüssigkeitsfilm in Bewegung. Die Partikel driften tangential auseinander [9]. Das führt nach [14,15] zu einer viskosen Schubspannung von

$\displaystyle \sigma_{\eta}(r)=2\eta\frac{\partial{v(r)}}{\partial{r}}$ (13)

Aus der Gleichung 12 bekommt man den Ausdruck

$\displaystyle \frac{\partial{v}}{\partial{r}}=-\frac{\dot{a}a}{r^{2}}$ (14)

und kann damit

$\displaystyle \sigma_{\eta}(r)=-2\eta\frac{\dot{a}a}{r^{2}}$ (15)

schreiben. Die differentielle Kraft an einem Punkt der Membran ergibt sich als

$\displaystyle f_{\eta}(r)=-\frac{\partial{\sigma}}{\partial{r}}=-4\eta\frac{\dot{a}a}{r^{3}}.$ (16)

Die am Rand des Defektes angreifende Kraft erhält man nach Integration über den verbleibenden Film.

\begin{displaymath}\begin{split}f_{\eta}(a) & =\int\limits_{a}^{R}\int\limits_{0...
...{8\pi\eta\dot{a}a}{R}\\ & \approx -8\pi\eta\dot{a}, \end{split}\end{displaymath} (17)

für R$ \gg$a. Da der Film als inkompressibel angenommen wurde und der Defekt so klein sein soll, daß er die am Rand der Membran wirkenden Kräfte nicht beeinflußt, kann man in Gleichung 11 den Radius R mit dem Radius a des Defektes substituieren. Wenn die Scherkräfte alle anderen Beiträge zur Kinetik des Aufreißens überwiegen, erhält man nach Gleichsetzen von 11 und 17 die Differentialgleichung

$\displaystyle a=\frac{4\eta}{\sigma}\dot{a}$ (18)

mit der Lösung

$\displaystyle a(t)=a_{0}e^{\frac{\sigma}{4\eta}t}$ (19)

für das viskositätskontrollierte Aufreißen.


Trägheitskraft

Reine Lipidmembranen haben in der fluiden Phase eine verschwindend kleine Viskosität. Die Kinetik ihres Aufreißens wird von der Massenträgheit der Membranmoleküle bestimmt. Bei einer Schallgeschwindigkeit im Lipidfilm von 1400ms$ ^{-1}$ und Durchmessern des Bilayers von $ <$1mm kann man davon ausgehen, daß das Aufreißen dem gleichen Mechanismus wie im viskositätsbestimmten Fall folgt: Man muß die Kraft, die nötig ist, ein Flächenelement zu beschleunigen, über alle Flächenelemente der Membran aufintegrieren.

$\displaystyle F=m\dot{v}$ (20)

Mit Gleichungen 12 und 14 ist

\begin{displaymath}\begin{split}\frac{dv}{dt} & =\frac{\partial v}{\partial r}\f...
...t{a}a}{r^2}\cdot v \\ & =-\frac{(\dot{a}a)^2}{r^3}, \end{split}\end{displaymath} (21)

da das Kräftegleichgewicht zu jedem Zeitpunkt gelten muß und a sowie $ \dot{a}$ zu einem festen Zeitpunkt Konstanten sind.

\begin{displaymath}\begin{split}F & =\int\limits_{A}dm\cdot\dot{v}\,dA \\ & =\in...
...}-\frac{1}{R}) \\ & \approx -2\pi\!\rho d\dot{a}^2a \end{split}\end{displaymath} (22)

Aus der Gleichgewichtsbedingung mit Gleichung 11 erhält man

$\displaystyle \dot{a}=\sqrt{\frac{\sigma}{\rho d}}$ (23)

als die Differentialgleichung für das trägheitskontrollierte Aufreißen. Der Radius des Defektes ergibt sich als

$\displaystyle a(t)=\sqrt{\frac{\sigma}{\rho d}}\cdot t+a_0,$ (24)


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Marcus Lindemann 2001-09-10