Die Situation im Dezember 1999

Als wir in der Nacht vom 06. zum 07. November von der holländischen Küstenwacht vor der Insel Vlieland von unseren Booten geborgen wurden, war das für uns das Ende unseres Traumes. Alle Hoffnungen, unsere Boote irgendwie doch noch sehen zu können und wieder aufzubauen, haben wir in diesem Moment begraben. Es war ein trauriger Anblick: Die entmasteten Boote, führerlos treibend mit laufendem Motor und voller Beleuchtung in der schweren Grundsee.

Wohl niemals ist uns eine Entscheidung so schwer gefallen wie an diesem Abend. Vier Jahre harte Arbeit, Planung und Vorbereitung, finanzielle Investition, Verpflichtungen gegenüber Sponsoren und Partnern, Verantwortung gegenüber Freunden, Familie und denen, die uns beim Bau unterstützt und ermuntert haben. All dies spielte an jenem Abend keine Rolle mehr. Es ging nur noch um unser Leben! Und dafür haben sehr viele holländische Helfer ihre Gesundheit und einiges mehr riskiert.

Das Ausmaß der Rettungsaktion ist uns erst sehr viel später bewußt geworden. Es gehört schon einiges an Mut dazu, bei 11 Meter hohen Wellen aus dem Hafen auszulaufen, den wir nicht mehr ansteuern konnten, in einem offenen Rettungsboot, welches kaum größer gewesen sein dürfte als unser eigenes. Auch der Marinehelikopter, welcher die Besatzung der "First Cash" geborgen hat, mußte sein ganzes Können aufbieten, um den Hubschrauber bei 8 Meter hohen Wellen und Windgeschwindigkeiten um die 40 Knoten ruhig zu halten. Nur so war es möglich, seine eigene Besatzung nicht zu gefährden und unser Leben zu retten. All diese Aktionen waren kostenfrei, durchgeführt von Helfern, die unentgeltlich arbeiten und ganz normalen Berufen nachgehen - Bäcker, Leuchtturmwärter und Barkellner - und zu Hause mit ihren Frauen und Kindern leben.

Es gibt nur sehr wenige Menschen, die so eine Rettungsaktion mitgemacht haben, und auch wir hätten auf diese "wertvolle Erfahrung" gern verzichtet. Aber die Entscheidung, die Boote zu verlassen war richtig, und so gingen wir von Bord mit nichts außer den nassen Segelanzügen am Leib. Weder Papiere, Geld, noch irgendwelche wertvollen Dinge wie Laptop oder teuer bezahlte Ausrüstung konnten wir mitnehmen. An diesem Abend ging es nur um unser Leben, und in solch einem Ernstfall zählt unter Umständen jede Sekunde.

Es hat 4 Jahre gedauert, die Boote zu bauen, 21 Tage um mit ihnen nach Holland zu segeln, 50 Stunden um uns bei stürmischer See körperlich auszuzehren und nur 2 Sekunden um unseren Traum zu beenden. Ohne Segel, mit verzogenem Ruder und einem Motor, der keine Vorausfahrt mehr machte, war es uns nicht möglich das Boot zu stabilisieren und die Abdrift und Lage gegen die Wellen so auszurichten, daß man nicht zu ihrem Spielball wurde. Jede heranrollende, sich brechende Welle von der Seite hätte das Boot erneut zum Kentern bringen können. (Wie bei "First Cash" geschehen) In dieser Situation wäre wohl niemanden damit geholfen sein Leben leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

Tragisch ist natürlich, daß "First Cash" bei dem Versuch der Besatzung von "Time for Sydney" zu helfen das gleiche Schicksal ereilte, und es grenzt schon an ein Wunder, daß es Marco gelang wieder an das Boot heranzuschwimmen, nachdem er beim ersten Durchkentern aus dem Cockpit geschleudert wurde und sich circa 5 Meter hinter seinem Boot in der kalten Nordsee wiederfand.

Doch wir alle sind gesund und unverletzt - alles andere ist reparabel! Natürlich stellt sich auch für uns die Frage "Wie soll es jetzt weitergehen?", und es hat eine Weile gedauert, um sich über diesen Punkt klarzuwerden. Die beiden Boote sind auf Vlieland gestrandet, und trotz der vielfältigen Beschädigungen, die hauptsächlich durch illegales und unprofessionelles Abbergen der "First Cash" entstanden sind, können wir die Boote so reparieren, daß wir die Reise ohne ein zusätzliches Risiko fortsetzen können.

Die Reparatur wird allerdings einen Zeitraum von 4 bis 5 Monaten in Anspruch nehmen und ist mit nicht unerheblichen Kosten verbunden, da auch ein Großteil der Technik durch das in den Booten stehende Salzwasser zerstört wurde. Wir möchten die Reise fortsetzen, mit unseren eigenen Booten, und werden alles versuchen, um unser Ziel Sydney zu erreichen. Allerdings ist es aufgrund der zeitlichen Verzögerung und der dann vorherrschenden Wetterbedingungen nicht möglich den Termin zur Eröffnung der Olympischen Spiele 2000 einzuhalten. Trotzdem möchten wir das "Goldene Buch der Reise", in welches sich Leute der verschiedenen Anlegestationen eingeschrieben haben und einschreiben werden, dem Bürgermeister der Stadt Sydney persönlich übergeben.

Wir haben sehr viel in dieses Projekt investiert, und es hat sich eines gezeigt: Das Grundkonzept stimmt. Die Boote segeln sich gut und haben unter extremen Bedingungen mit Böen bis zu 11 Windstärken und Seegang um die 8 bis 10 Meter ihre Hochseetauglichkeit bewiesen. Wir haben so viel Vertrauen gewonnen, daß wir sagen können, sie sind ausreichend sicher konstruiert und solide genug gebaut für die Bedingungen einer solchen Tour. Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg ist jedoch, daß der Faktor "Mensch" entlastet wird, zum Beispiel durch Selbststeueranlagen und die Wahl der optimalen Wetterbedingungen und Jahreszeiten. Diese Voraussetzungen konnten wir nicht erfüllen, als wir am 17. Oktober in Neuhof bei Stralsund starteten.

Wir haben aus diesem Erlebnis unsere Schlüsse gezogen und viel gelernt, was wir verändern müssen, um das Projekt Berlin - Sydney 2000 zu einem erfolgreichen Abschluß zu führen. An unserer Freundschaft und dem Willen dieses Projekt zu beenden hat sich nichts geändert, aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen, und so wird wohl die letzte Entscheidung über die Art und Weise der Fortführung davon abhängen, ob wir es schaffen die Finanzen zu bekommen, um im Januar die Reparaturen in den Niederlanden zu beginnen.

Wenn uns dies gelingt, werden wir im Mai / Juni des nächsten Jahres unsere Reise von Vlieland aus fortsetzen können. Der Bug von "Time for Sydney" und "First Cash" zeigte bei ihrer Strandung auf das Meer - der Bug zeigte nach Sydney...